Wir hier

Wir hier

Neubebauung? Nein danke! Nachbarschaftstreffen vor der Quäkerstrasse 1,3

Nachbarschaftstreffen vor der Quäkerstrasse 1,3 am Donnerstag, 30.11. , 9h
anlässlich der Begehung des Gestaltungsbeirats Freiburg.

Bericht (Erzählung) von Katharina Scharlowski

Haltet die Ohren steif

Die Erste , die ich aus dem Quartier kennenlernte, war – lange bevor ich selber dahin ziehen sollte – eine rot-blonde Schönheit, die stolz im vorderen Fahrradkörbchen des Rades einer ebenfalls rot-blonden Dame sass, und sich den Wind um die spitzen Ohren blasen liess.
Da wohnte ich noch Bruder-Klaus-Heim des Familienheims in der Grillparzerstasse 5. Ich wusste noch nicht, dass wenige Jahre später ein rasantes Sterben unter den oft hochbetagten Damen des Stifts einsetzen würde, dann nämlich nachdem vom Vorstand der Baugenossenschaft die Ankündigung des Abrisses ausgesprochen worden war. Die Kapelle im Haus, in die die alten Damen allmorgendlich zur Heiligen Messe gegangen waren wurde entweiht. Jüngere Bewohnerinnen und Bewohner nahmen das Angebot von Ersatzwohnungen an, doch den oft 80-100 jährigen Frauen blieb nur das Heim oder der Tod. Es starben viele von ihnen in den 1 ½ Jahren bis die Bagger kamen. Diese Frauen waren meine Freundinnen gewesen.
Da hatte ich selbst schon 12 Jahre dort gelebt, und nun da das Haus fast leer war entsann ich mich der rot-blonden Hündin und der Häuser in denen sie wohnte. Und so landete auch ich in einer Ersatzwohnung des Familienheims in der Türkenlouisstrasse. Ich kam, geschockt vom Abriss meiner Heimat, und wollte bleiben. Ich habe in den beinahe 8 Jahren, die ich nun in dieser Wohnung wohne manche gehen sehen, aber vor allem viele, viele die blieben.
Auch im Innenhof unserer Wohnanlage die Linden sind geblieben, gewachsen, gediehen. Sie wurzeln gut. Und auch wir wurzeln hier. Der Nährboden ist zuträglich: Moderate Preise, eine freundliche, zurückhaltende Nachbarschaft zwischen neugeboren und 90 Jahren. Gute Verkehrsanbindungen und doch kein Strassenlärm, frische Luft und Waldnähe. Schlichte Wohnungen mit dem Charme zurückliegender Zeiten aber es herrscht ein Geist der Freiheit. Spielende Kinder, die keine Autos fürchten müssen, da Spielplätze in den Innenhöfen sind, und ältere Menschen, die sich auf die Unterstützung durch die jüngeren verlassen können. Haustiere, Hunde und Katzen, die das Viertel beleben. Im Frühjahr, Sommer und Herbst sitzen wir im parkähnlichen Innenhof zwischen trocknender Wäsche und alten Büschen und den Bäumen und geniessen das Beisammensein.
Warum also sollten wir hier nicht wurzeln?!
Doch nun kamen die Briefe von der Baugenossenschaft Familienheim, die unsere Vermieterin ist. Und wir als zahlende Mitglieder sollen kein Mitspracherecht haben, wenn gravierende, uns alle betreffende Entscheidungen gefällt werden?
Kurz vor den Sommerferien: Sie wollten Gutachter und Architekten schicken, die den Gebäudebestand aufnehmen würden. Nichts sei entschieden, wir würden rechtzeitig informiert werden. Im Oktober: Die Häuser der Quäkerstrasse 1, 3, 5, 7 und 9 würden abgerissen werden. Darüber hinaus sei noch nichts entschieden.
Der erste Strassenzug von wie vielen? Adalbert-Stifter-Strasse?, Quäkerstrasse?, Gerwigplatz?, Rosseggerstrasse?, Türkenlouisstrasse?, Dreikönigstrasse?
Ich wäre wohl genauso entsetzt über die drohenden Veränderungen, wäre es hier nicht so lebenswert wie es ist. Eine Nachbarschaft von unterschiedlichen Menschen, die nun zur Schicksalsgemeinschaft wird: Wir alle Bangen.
Seit Sommer sprechen wir über unsere Befürchtungen. Wo sollen wir landen und zu welchen Bedingungen? Und gehören diese beinahe 400 Menschen die in diesem Viertel wohnen, nicht irgendwie zusammen? Allemal jetzt, da über uns allen das Damoklesschwert des Abrisses hängt.
Und selbst, wenn nicht abgerissen werden würde, so könnten bei weitem nicht alle die dann steigenden Preise für sanierte Wohnungen bezahlen.
Viele, die meisten von uns, sind mit dem bescheidenen Luxus den die Wohnungen bieten, zufrieden. Die rot-blonde Hündin hier fuhr im Cabrio, auch wenn es nur das Cabrio eines Fahrradkorbes war. Wir haben keine marmornen Badezimmer, aber wir haben mehr als das, wir haben hier eine Heimat gefunden, den Kopf oben und halten die Ohren steif. Und diese Freiheit wollen wir uns nicht nehmen lassen.

Katharina Scharlowski

Auszug aus: „Wohin wenn die Nonnen – die Rosen …“
Erinnertes aus dem Bruder-Klaus-Heim

in der Grillparzerstrasse 5, in Freiburg, abgerissen im Jahre 2010. Von Katharina Scharlowski
Irgendwann war es auch ein Altersheim gewesen, geführt vom in der Nähe ansässigen Lioba-Nonnenkloster und nach dem Krieg erbaut. Einzelne Zimmer ohne jeglichen Komfort, wenn nicht einem Waschbecken, andere Zimmer mit einer kleinen Küche, oder einige wenige Zwei-Zimmer Wohnungen. An jedem Gangende war eine Toilette, eine Dusche im Keller.
Im Lauf der Jahre war das Altersheim aufgegeben worden um dem Haus seine Bestimmung als Heim für alleinstehende Frauen wiederzugeben. Jedoch wohnten noch viele hilfsbedürftige Damen in den Zimmern. Hier wurden die Bewohnerinnen alt. Es herrschte ein Geist der Nächstenliebe im wahrsten Sinne des Wortes, so daß die Jüngeren den Älteren beistanden, die Alten den Jungen Freundschaft und Weisheit und manchmal ein vorgezogenes Erbstück schenkten.
Hier starb Keine unbemerkt. Ein Raunen ging durch die Gänge, wenn eine der Hausbewohnerinnen krank war, dann eines Tages die letzte Ölung bekam. Man kam Abschied nehmen.
War es vollbracht, wurde am anderen Morgen die Messe gehalten für die Verschiedene und Schwester Berta schrieb eigenhändig in schönen Lettern einen Nachruf, den sie im Gang aushängte.
Birken standen vor dem Haus, Zedern, Rosen und eine Linde im Park dahinter.
So einfach und hellhörig und schlicht das Haus war, so einfach und tiefgründig und bescheiden lebten wir und so bedeutend war der Geist, der uns zusammenhielt.

Brief eines Bewohners, der 1952 als Schüler mit seinen Eltern in die Quäkerstr. 7 eingezogen ist:

Lieber Herr …,
über Ihre schnelle Antwort habe ich mich sehr gefreut, auch wenn der Anlaß zum Weinen ist! Obwohl ich von dieser Familienheim – Aktion gar nicht betroffen bin, konnte ich in der vergangenen Nacht mit den Gedanken an meine alte Heimat ganz schlecht Ruhe finden. Wir waren die ersten Mieter in dieser Familienheim-Wohnung und sind dort im November 1952 eingezogen (gerade habe ich diesbzgl. die Unterlagen meines Vaters nochmal durchgesehen). Als Schüler war ich im Sommer 1952 beinahe täglich an der Baustelle; ich erinnere mich noch genau an schönes, sonniges Wetter, an die Ziegelsteine (!) und die Betonmischmaschinen. Mein Vater war damals sehr aufgeregt und hat sich nach vielem Hin und Her die “schönste” Wohnung ausgesucht; sein Auswahlkriterium war damals ‘der schönste Blick zum Roßkopf’! Meine Eltern und ich fühlten sich wie Lottokönige, als wir dann endlich in die neu gebaute Wohnung einzogen…
Gelegentlich habe ich mir die Web Seiten der Familienheim im Internet angesehen. Es gibt, bzw. gab keine freien Wohnungen, weder in Freiburg, noch im Umland. Wo will denn dieses Unternehmen die vielen Menschen ihrer “Abrißhäuser” unterbringen? Bestimmt sind auch viele ältere Personen betroffen.
Ich wünsche Ihnen viel Glück in dieser schlimmen Situation. Vielleicht schreiben Sie mir gelegentlich, wie diese Aktion weitergeht.
Viele Grüße vom Nordwesten Hamburgs sendet Ihnen
Dieter Heid
[Hier sind kurze Porträts oder Stimmungsberichte, Erzählungen, Geschichten, Statements von Bewohnern des Quartiers geplant. Wer sich beteiligten möchte ist herzlich eingeladen. Kontakt > ]